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Die Stadt des Lichts – No.11

No.11: Einmal Traumberuf mit Sahne, bitte

Wir sitzen in einem Café. Er sitzt mir gegenüber; beige Hose, blassblaues Hemd, runde Brille und einen bereits etwas spärlichen Haaransatz. Ich sitze auf der anderen Seite des Tisches, etwas nervös, vor mir einen Schreibblock und einen Kugelschreiber in der Hand, gezückt, als würde ich gleich eine lebenswichtige Prüfung schreiben.

Es ist durchaus etwas kurios, dass wir hier sitzen. So als wäre das hier echt, als wäre ich ebenso professionell hier, wie er. Er, der Dirigent des Chors, in dem ich derzeit hier in Paris singe und wie es sich herausgestellt hat ist er ebenso einer der weltweit meistgespielten, zeitgenössischen französischen Komponisten. Schottland, Amerika, Deutschland, überall kennt man in Fachkreisen seine Musik und seinen Namen und ich habe das Glück für eine Seminararbeit diesen beeindruckenden Menschen interviewen zu dürfen.

Wenn ich ehrlich bin, wusste ich nicht mal, was für einen großen Fisch ich an meiner kleinen Angel hatte, als ich ihn nach der Chorprobe, letzten Mittwoch fragte, ob ich ein Interview mit ihm machen könnte, da ich für die Uni ein Porträt schreiben muss. Ich wählte ihn aus, weil ich die Idee spannend fand. Den Dirigenten eines der größten Studentenchöre Paris zu interviewen, ist doch bestimmt keine schlechte Idee und auch, weil ich wusste, dass ich das Interview auf Französisch führen müsste. Dass er ein ziemlich guter und auch preisgekrönter Komponist ist, wusste ich ursprünglich nicht.

Aber jetzt sitzen wir hier. Er und ich. An diesem Tisch, in diesem Café und es ist so laut, dass ich fürchte, dass die Tonaufnahme des Interviews komplett in die Hose gehen wird. Mit meinen Fragen habe ich mir ziemlich viel Mühe gegeben; zu viel vielleicht, für eine Seminararbeit, dabei hat es mir so viel Spaß bereitet, seine Website zu durchforsten, mir die Titel seiner Stücke und die Cover seiner CDs anzuschauen und Lücken zu finden, die es zu schließen gilt. Mir seinen Werdegang als Musiker durchzulesen und mich zu fragen, also letztendlich ihn zu fragen, warum ein so bekannter Komponist, wie er, seine Wochenenden damit verbringt einen Studentenchor zu dirigieren.

Vielleicht habe ich in den letzten Monaten zu viele Beiträge vom Y-Kollektiv geschaut und vielleicht nehme ich diese Seminararbeit viel zu ernst, aber das hier, genau das hier, das ist das was ich machen möchte. Mich in Dinge reinstürzen, durch das Netz stöbern, Fragen formulieren (und das einmal nicht bezogen auf mich und mein Leben, sondern auf andere Menschen) und dann mit einem Mann, der dem Klischeebild eines Künstlers so ähnlich sieht, wie er, in einem Café sitzen und ein Interview führen. So ein richtiges Interview. Und einfach mal zuhören, einfach zuhören und sich mit dem Leben eines anderen befassen.

Kommt das zu kurz in unserer Welt aus Selbstdarstellung und Selbsthass? Selbstliebe und Eigenvermarktung? Können wir uns noch mehr, als die Zeit, die es kostet, um einen anderen Menschen auf Instagram zu finden und grob durch den Feed zu scrollen, auf einen anderen Menschen konzentrieren? Ihm zuhören? Kann ich das noch? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht; mache ich das hier für meine Seminararbeit? Für ihn oder für mich?

All diese Fragen kann ich nicht beantworten und da würde mir auch keine ausführliche Recherchearbeit bei helfen. Aber eines weiß ich ganz sicher: Ich habe mich lange nicht mehr so richtig, so cool und so lebendig gefühlt, wie an diesem Abend, in diesem Café mit diesem Mann, den ich nach gefundenen Lücken befragt habe. Seit Jahren möchte ich Journalistin werden und dieser Moment hat mir genau das gegeben. Eine etwas zu ernst genommene Seminararbeit und eine glückliche Wahl des Interviewpartners. Für eine Dreiviertelstunde in diesem Café war er der Künstler und ich die Journalistin.

Kategorien: City of Light, Uncategorized | Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | 3 Kommentare

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